Donnerstag, 5. März 2015

...und wir sind alle Teil des Ganzen...

Look, five deep cuts on my arm
Where you touched, hands are razorblades
Five bleeding wounds, always fresh
Bleed out life 'til it's gone

~My Glorious~


Die aktuelle Empörung, der man insbesondere auf Facebook allenthalben begegnet, veranlasst mich, einen Artikel zu schreiben, der mir schon länger durch den Kopf schwirrt. Aber da es ein unbequemes Thema ist - und wer will schon freiwillig unbequeme Dingen lesen - habe ich es bisher unterlassen, damit rauszurücken.
Vorab möchte ich klarstellen, dass ich es weder gutheiße, was ein gewisser Politiker getan und (nicht) gestanden hat noch das vom Gericht gefällte Urteil in irgendeiner Weise nachvollziehen oder als etwas anderes als Hohn verstehen kann. In Bezug auf das Thema Kindesmissbrauch (und ich gehe in diesem Punkt nicht konform mit einem meiner ehemaligen Dozenten, der der Meinung war, dieses Wort impliziere, es gebe einen Kindesgebrauch und sei damit ebenfalls verwerflich) ist unser System wirklich krank und ausgesprochen verbesserungswürdig. Und damit meine ich nicht nur unser Rechtssystem. Aber wer ist das System, wenn nicht wir?

Wem ist geholfen, wenn bei Facebook wütende oder vielmehr hasserfüllte Statusmeldungen verkünden, welche Körperteile man wem wie zerhäckseln würde? Ändert sich dadurch irgendwas - idealerweise sogar zum Besseren? In meinen Augen manifestiert sich damit nur, was wir bereits haben: 
- TäterInnen (in allen Lebensbereichen und beruflichen Positionen), die sich gegenseitig ihre Neigungen schön und "gesund" reden (und sich im Notfall gegenseitig den Allerwertesten retten)
- und "Opfer" (ich bevorzuge die Bezeichnung Überlebende), die sich ohnehin beschämt fühlen und mit der Wut, die die Geschehnisse auslösen, überfordert und verschreckt werden.

Versteht mich nicht falsch: Auch mich macht es wütend, wenn ich mich damit beschäftige, was Erwachsene Kindern antun, wie perfide sie agieren, um diese kleinen Menschen gefügig und mundtot zu machen. Wie sie ihre Macht missbrauchen, um ihre Bedürfnisse auf Kosten anderer zu befriedigen.
Aber ich arbeite nun seit fast 6 Jahren mit jungen Erwachsenen, die zum großen Teil Erfahrungen dieser Art sammeln mussten. Und Wut ist das Letzte, wovon sie noch mehr brauchen. Wut, vor allem so grenzenlos, wie sie zur Zeit herausposaunt wird, ebnet keine Wege, um Hilfe zu erbitten oder die eigene Betroffenheit mitzuteilen.
Ich glaube, wenn wir hilfreich sein wollen und eine Veränderung herbeiführen, dann ist unsere Selbstbeherrschung gefragt. Im Sinne der Überlebenden, die (statt von unserer Empörung überrannt zu werden) Verständnis und Mitgefühl brauchen, um nach und nach ihre eigene Wut nicht mehr gegen sich selbst richten zu müssen, aber auch im Sinne der Täter, unter denen es mit Sicherheit welche gibt, die wünschten, sie wüssten, wie sie anders agieren könnten. 
Die Wut, die sich im Moment Bahn bricht, macht meiner Meinung nach die am Einsamsten, die sich Hilfe wünschen und erreicht damit das Gegenteil von dem, was sie vorgibt, erreichen zu wollen.

Abschließend muss ich nochmal betonen: Ich finde Kindesmissbrauch in jedweder Form in keiner Weise zu tolerieren. Aber genauso falsch finde ich radikale Äußerungen und die dahinter stehenden Haltungen, die es betroffenen Personen (auf der einen wie der anderen Seite) geradezu unmöglich machen, sich zu offenbaren und Hilfe zu bekommen und damit das System, wie es ist, manifestieren.

Falls jemand sich intensiver auseinandersetzen möchte, kann ich das Buch von Manfred Karremann ("Es geschieht am hellichten Tag") empfehlen.




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