Sonntag, 24. Mai 2015

Buchbesprechung "Amon. Mein Großvater hätte mich erschossen"

Unüberbrückbar?

Geboren als uneheliches Kind einer Deutschen und eines Nigerianers wurde Jennifer Teege kurz nach ihrer Geburt in ein Kinderheim gegeben. Sie wuchs in einer Pflegefamilie auf, die sie schließlich auch adoptierte. Zum Studieren ging Jennifer Teege nach Israel. Zurück in Deutschland gründete sie eine Familie. Und entdeckt eines Tages in einer Bücherei ein Buch, in dem ihre leibliche Mutter interviewt wird – es geht um deren Vater, den KZ-Kommandanten Amon Göth.

In ihrem Buch „Amon. Mein Großvater hätte mich erschossen“ schildert Jennifer Teege ihren Weg der Auseinandersetzung mit der Wahrheit über ihre Vorfahren. Die Textpassagen, in denen Teege sehr persönlich berichtet, werden unterbrochen von Absätzen, die Hintergrundwissen in Form von Fakten und Zeitzeugenberichten vermitteln. Das Buch liest sich flüssig, verliert sich nicht unnötig in Emotionalität oder Schilderungen des Grauens, verschließt gleichzeitig aber nicht die Augen vor den Tatsachen, sei es die Grausamkeit Göths oder die schweren Depressionen, die Jennifer Teege lange Zeit begleiten.
Teege gelingt es, die Loyalität zur eigenen Familie und die Verurteilung der (Un-)Taten der Verwandten nebeneinander zu stellen und beides für sich anzuerkennen. Sie bringt deutlich zum Ausdruck, dass das Schweigen der Täter einen größeren Schaden für die nachfolgende Generationen bedeutet als das Wissen darüber, was nahestehende Personen getan oder gelassen haben.
Abschließend schildert Teege, wie sie mit ihren israelischen Freunden wieder in Kontakt geht, denen sie während der Auseinandersetzung mit ihrer Familiengeschichte aus dem Weg ging, ohne dass diese wussten, warum. Die Annäherung gelingt und findet ihre Fortsetzung in der Auseinandersetzung über den Holocaust mit der nun nachfolgenden Generation.

Trotz der Schwere des Themas bleiben jederzeit die Klarheit und Stärke spürbar, die Jennifer Teege auszeichnen und die unübersehbar sind, wenn man sie z.B. Fernsehinterviews erlebt. Nach dem Lesen des Buchs bleibt die Hoffnung auf die Überwindbarkeit von Scham und Wut, mit denen die nachfolgenden Generationen der Täter und der Opfer konfrontiert sind.

Jennifer Teege, Nikola Sellmair: Amon. Mein Großvater hätte mich erschossen. Reinbek bei Hamburg, 2013

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